Die Autonomie der Farbe - The closest I could get2017
Einzelausstellung Kunsthaus Grenchen
vom 27. August bis 5. November 2017
Kuratiert von Claudine Metzger, Künstlerische Leiterin Kunsthaus Grenchen
Text Claudine Metzger
Das Kunsthaus Grenchen widmet die Herbstausstellung der Künstlerin Anna Amadio. Nach der Beteiligung an zahlreichen Gruppenausstellungen – unter anderem im Kunstm ... mehr
Die Autonomie der Farbe - The closest I could get2017
Einzelausstellung Kunsthaus Grenchen
vom 27. August bis 5. November 2017
Kuratiert von Claudine Metzger, Künstlerische Leiterin Kunsthaus Grenchen
Text Claudine Metzger
Das Kunsthaus Grenchen widmet die Herbstausstellung der Künstlerin Anna Amadio. Nach der Beteiligung an zahlreichen Gruppenausstellungen – unter anderem im Kunstmuseum Bonn, in der Kunsthalle Basel, im Museo Cantonale d’Arte Lugano, im Helmhaus Zürich – ermöglicht die Ausstellung im Kunsthaus Grenchen, erstmals wieder eine grössere, installative Arbeit von Anna Amadio in einer Einzelpräsentation zu erleben.
Anna Amadio ist eine Plastikerin im wahrsten Sinne des Wortes – dies obwohl ihr Werk neben drei- auch zweidimensionale Arbeiten umfasst. Die von ihr bevorzugten Werkstoffe sind Plastik, Farbe und Leim, die sie zu skulpturalen Objekten und Bildern verarbeitet. Die Eigenschaften der verwendeten Materialien, das Fliessen der Farbe, das Knittern des Plastiks, spielen bei der Gestaltung eine wesentliche Rolle. Es entstehen Kunstwerke mit äusserst attraktiven Oberflächen, deren Faszination man sich nur schwer entziehen kann. Bekannt geworden ist sie mit riesigen räumlichen, nicht begehbaren Luftobjekten und Vakuuminstallationen aus PVC- und PE-Folien sowie mit spannungsvollen Frottagen, für die sie zuvor mit Leim gezeichnete Vorlagen mit Farbstiftbündeln durch Abreiben in phantasmagorische Zeichnungen verwandelt.
Für den 300m2 grossen Neubau hat Anna Amadio eine raumbezogene Installation entwickelt, in der sie neueste Objekte an der Grenze zwischen Plastik und Malerei zeigt und Einblick gibt in ihre aktuelle Auseinandersetzung mit Gemälden der klassischen Moderne.
Ausgangspunkt dieser Werkgruppe sind von der Künstlerin mit pastosem Farbauftrag nachgemalte „Kopien“ verschiedener Gemälde von beispielsweise Claude Monet, Paul Gauguin, van Gogh und Paul Cézanne. Diese Replika übergiesst sie mit einer monochromen Farbmasse, um dann die getrocknete, kompakte Farbschicht abzuziehen. Präsentiert wird die Rückseite dieser Farbhaut, auf der das von Anna Amadio nachgemalte Gemälde als Relief einen Abdruck hinterlassen hat. Das fertige Bild ist nicht nur ein gemaltes Bild, sondern ein Materialbild, das gleich an mehrere Traditionen in der Malereigeschichte erinnert. Als monochromes Bild weckt es Assoziationen an Color Field Painting, als Abdruck interpretiert es den Begriff des Impressionismus quasi wörtlich.
Dass Anna Amadio vorwiegend impressionistische Bilder als Vorlagen wählt, hat mit deren Bedeutung in der Entwicklung der Malerei zu tun. Der Impressionismus ist eng mit der Entwicklung der Malerei hin zur Abstraktion verbunden und gilt gemeinhin als Wiege der Moderne mit ähnlich weitreichenden Veränderungen wie die Kunst der Renaissance. Eine lockere Gruppe junger Maler verfolgte in Paris ab den 1860er Jahren künstlerische Ziele, für deren Erreichung sie die überlieferten Regeln der akademischen Malerei über den Haufen warfen. Sie malten nicht mehr im Atelier sondern in der freien Natur, ignorierten den klassisch komponierten Bildaufbau und die Zentralperspektive zugunsten eines Bildausschnittes, der eher zufällig wirkte. Sie interessierten sich nicht in erster Linie für das Motiv, sondern für die Atmosphäre, welche aus Licht und Farbe besteht. Dem entsprechend wird die Farbe Schwarz aus der Palette verbannt, gleichzeitig wird die Farbe davon befreit, die Farbigkeit des Motivs naturgetreu wiederzugeben. Diese Autonomie der Farbe bezeichnet denn auch den Bruch zwischen der klassischen und der modernen Malerei.
Im Zentrum dieser künstlerischen Bewegung stand der persönliche Eindruck (Impression), der auf der Leinwand festgehalten werden sollte. Das Bestreben, die Flüchtigkeit des Augenblicks im Bild zu bannen, hatte auch Auswirkungen auf die Malweise der Impressionisten. Die Pinselstriche sind kurz, bewegt und eilig auf die Leinwand gebracht und verleihen den Gemälden den Charakter von schnell entstandenen Skizzen. Wichtig ist jedoch der Umstand, dass der Pinselstrich als solcher sichtbar ist. Darin unterscheidet sich der Impressionismus ganz wesentlich von der akademischen Malweise. Während die klassische Malerei im Grunde zu verbergen versucht, dass das Bild gemalt ist, macht der Impressionismus die Grundlagen der Malerei – die Tatsache, dass ein Bild in erster Linie aus Farbe auf Leinwand besteht – erstmals zum Thema. Anna Amadios Auseinandersetzung mit dem Impressionismus setzt genau an den beiden zentralen Neuerungen dieser Kunstrichtung an (bei der Autonomie der Farbe und beim Pinselstrich) und verbindet sie mit der Tradition des Colorfield oder Radical Painting. Diese beiden Richtungen der Malerei entstanden in New York in den 1940er und 1950er Jahren. Der Fokus dieser Künstler lag auf der Farbe selbst, die hier noch einmal stärker als im Impressionismus von einem objektiven Kontext befreit wird und als Material zum Subjekt an sich wird. So zeichnen sich diese Gemälde durch grosse Felder flach und satt aufgetragener Farbe aus. Dabei ist die Art und Weise entscheidend, wie die Farbe auf die Leinwand aufgetragen wird: ohne Verwendung klassischer Malutensilien wie Pinsel oder Spachtel wird sie meist auf die horizontal am Boden liegende, ungrundierte Leinwand aufgebracht. Diese Praxis adaptierend giesst Anna Amadio die Farbe, die sie vorher mit Leim vermischt hat, auf die von ihr nachgemalten Werke der historischen Vorbilder und zieht diese Farbhaut, nachdem sie getrocknet ist, anschliessend wieder ab. Mit diesem raffinierten, mehrstufigen Vorgehen gelingt es ihr, malerische Bildsprachen aus unterschiedlichen Zeiten miteinander zu verbinden. Gleichzeitig materialisiert sie das klassische Tafelbild auf ganz neue Art und Weise, indem sie ein Bild ohne Träger, d.h. ein Bild ohne Leinwand schafft.
Anna Amadios Bildobjekte sind monochrom, nehmen aber immer Bezug auf die Farbigkeit der jeweiligen Vorbilder. Obwohl die Monochromie wie auch der mehrstufige Herstellungsvorgang (vom Nachmalen des Originals bis zum Abziehen der monochromen Farbschicht) die Vorlagen einem Abstraktionsprozess unterziehen, können diese wiedererkannt werden. Interessant ist dabei zu beobachten, inwiefern sich die Handschriften der einzelnen Künstler unterscheiden. So hinterlässt der energiegeladene, wilde Pinselstrich von Vincent van Gogh einen gut erkennbaren Abdruck und sowohl die „Tournesol“ als auch das „Autoportrait“ und der „Poirier“ lassen sich sehr gut wiedererkennen. Ebenfalls gut erkennbar sind die Pinselstriche von Claude Monet. Nicht nur die Seerosen, sondern auch die japanische Brücke können leicht identifiziert werden. Im Gegensatz dazu ergibt der pointillistische Farbauftrag von Paul Signac als reines Relief ohne Informationen zu den im Original verwendeten Farbtönen ein abstraktes „Allover“ – bestehend aus unzähligen kleinen Punkten, die das Motiv, einen Pinienbaum, nur äusserst schwach abbilden. Ebenso schwierig lesbar – wenn auch aus anderen Gründen – sind die Farbhäute, welche aufgrund der Kopien von Franz Marc und Paul Gauguin‘s Tahiti-Bild entstanden sind. Diese Künstler haben die Farbe in unzähligen dünnen Schichten übereinandergelegt, so dass praktisch kein Relief entsteht, das sich deutlich als Abdruck manifestieren könnte. Trotzdem sind auch diese Bilder – mit Ausnahme vielleicht von Franz Marcs Gemälde „Die grossen blauen Pferden“ – als solche wiederzuerkennen.
Die Betrachtung dieser Werke erfordert ein wenig Ruhe und Geduld. Vergleichbar mit dem Moment, in dem man von einem hell erleuchteten Raum in die Dunkelheit tritt und erst wieder etwas sieht, nachdem sich die Augen an die veränderten Lichverhältnisse gewöhnt haben, müssen sich die Augen an die Bilder und Reliefs herantasten, muss der Betrachter sich bewegen, um die Werke in unterschiedlichem Lichteinfall zu betrachten und das Dargestellte zu erkennen.
Die aktuelle Annäherung an Gemälde der klassischen Moderne stellt eine Weiterentwicklung und Kombination von Fragestellungen dar, mit denen sich Anna Amadio bereits in früheren Werkgruppen auseinandergesetzt hat. Während sie in den beiden jüngeren Gruppen „Color for paint“ (2015) und „Under my skin“ (2015) nach den Möglichkeiten suchte, der Farbe als Material eine Form zu geben und erstmals Bilder ohne Bildträger produzierte, setzte sie für „Von Lebak bis Sesann“ (2010) Gemälde der klassischen Moderne in äusserst bunten Farben sehr frei in eigene Bilder um. Anschliessend vakuumisierte sie das nasse Bildmotiv, wodurch die Vollendung des Bildes hinausgezögert wird. Das langsame Trocknen der Farben bewirkt, dass das Bild in Bewegung bleibt. Die Farben fliessen, vermischen sich, überlagern sich. Während die Vorlagen noch als solche identifizierbar sind, hat sich die Handschrift der Künstler, der charakteristische Pinselstrich, in der Übertragung durch Anna Amadio und schliesslich im Fliessen der Farbmassen aufgelöst. Genau auf diesen Punkt konzentriert sich Anna Amadio in der aktuellen Werkgruppe, die sie als räumliche Annäherung an die Art des Farbauftrags und die Bildsprache der modernen Meister versteht – ein Aspekt, auf den auch der Zusatz im Titel „The closest I could get“ anspielt. Schliesslich nimmt die aktuelle Werkgruppe das Verfahren des Abdrucks wieder auf, mit dem Anna Amadio in unterschiedlichen Ausprägungen seit den Frottagen aus dem Jahr 2005 immer wieder experimentierte.
Trotz der grossen Rolle, welche die Malerei in Anna Amadios Werk spielt, versteht sie sich nicht als Malerin sondern als Plastikerin. Ausgehend von der Tatsache, dass das fertige Werk kein gemaltes Bild, sondern ein Materialbild bzw. ein plastisches Objekt ist, präsentiert Anna Amadio diese auf eigens für diese Ausstellung entwickelten Gestellen – einer Mischung aus Staffelei und Sockel. Durch deren Anordnung parallel zur gebauten Architektur entsteht ein Raum im Raum. Gleichzeitig reflektiert sie die in Museen übliche Art, Gemälde auszustellen: sie nimmt diese weg von der Wand, wo sie üblicherweise gezeigt werden und betont dafür den räumlichen Charakter ihrer Bildobjekte.
Mit der raumfüllenden Installation unter dem Titel „Autonomie der Farbe – The closest I could get“ ist es Anna Amadio gelungen, mit höchst innovativen, aber auch zeitintensiven und risikobehafteten künstlerischen Verfahren Fragen nach der Geschichte und dem Wesen von Malerei und Plastik aus einer neuen Perspektive anzugehen. So autonom wie hier war die Farbe vermutlich noch nie und näher an den künstlerischen Ausdruck der Meister der klassischen Moderne kommen vermutlich nur einige wenige Restauratoren.
Text Claudine Metzger, Künstlerische Leiterin Kunsthaus Grenchen
Fotografien Laura Hadorn und Gervais Lardon
Eingang Kunsthaus Grenchen |2017
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Paul Gauguin, Nafea faa ipoipo -the closest I could get |2017 |Nahaufnahme
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Paul Signac, Le Pin Bertaud, Saint-Tropez - the closest I could get |2017 |Diverse Materialien
Paul Signac, Le Pin Bertaud, Saint-Tropez - the closest I could get |2017 |Nahaufnahme
Paul Signac, Le Pin Bertaud, Saint-Tropez - the closest I could get |2017 |Nahaufnahme
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Vincent van Gogh, Le poirier en fleurs - the closest I could get |2017 |Nahaufnahme
Claude Monet, Nymphéas, Matin - the closest I could get |2017 |Diverse Materialien
Claude Monet, Nymphéas, Matin - the closest I could get |2017 |Nahaufnahme
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien
Ansicht Ausstellung Kunsthaus Grenchen |2017 |Diverse Materialien