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Gizmo‘s Kiss. Ein Kuss von Gizmo, rätselhaft, ungestüm. Voller Ruhe, und doch gewaltig. Was ist das?
 

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Als ich Anna Amadio noch nicht so gut kannte, dachte ich, Harmonie sei ihr Thema. Harmonie zwischen Formen und Farben, zwischen Fläche und Raum. Ein Thema, das mich auf den ersten Blick nicht so interessiert, obwohl ich ihm ein gewisses Sehnsuchtspotential nicht absprechen kann.
Und trotzdem – die Art und Weise, wie sie diese Harmonie-Fragen löste, wie sie ihnen begegnete, mochte ich, schätzte ich. Doch irgendetwas schaltete sich immer wieder dazwischen. Harmonie, dieser warme Duft von einem müden Glück, das sich nicht streiten will.
 

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Irgendwann änderte sich die Situation. Ich glaube es passierte in einer ihrer grossformatigen Zeichnungen, in denen sich an verschiedenen Stellen landschaftliche Anmutungen, schön und gefühlvoll, über scheinbar schmierfinkige und unmotiviert gesetzte Flächen lagern. Vielleicht passierte es aber auch in einem unserer zahlreichen Gespräche über Kunst und Alltag, über Räume oder Hundehaltung. Vielleicht war es ein Blick, in dessen Unwiderruflichkeit plötzlich alles deutlich wird. Gizmos Kiss. Wer weiss schon, was ein Gizmo wirklich ist.
 

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„Gizmo“ ist Slang und entstand ursprünglich in den 1940er Jahren in Nordafrika. Das Wort lässt sich aus dem Arabischen shu ismo herleiten, was soviel bedeutet wie Dingsbums. Wenn man also in der Eile nach einem Wort für etwas sucht, und keines so richtig passt, ist es „gizmo“. Anna Amadio ist dieser Begriff das erste Mal 2004 in New York begegnet, während sie dort ihre Ausstellung für den Kunstverein Freiburg vorbereitete.
 

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Gizmo’s Kiss ist eine Arbeit, die auf spektakuläre und gleichzeitig feinsinnige Weise wichtige Etappen in der künstlerischen Entwicklung von Anna Amadio zusammenfasst und sie gleichzeitig auf erfrischende Weise über Bord wirft. Amadios künstlerischer Ansatz hat sich in den letzten Jahren befreit von ihrem starken Können, mit Raum umzugehen. Denn dieses stand ihr im Weg, wenn es nämlich darum ging, ihr zweites Können zu zeigen: eine spezifische, melancholische Verbindung narrativer Strukturen mit ästhetischen Mitteln. Alle ihre Arbeiten erzählen von diesem scheinbaren Widerspruch, von einer den Betrachter einnehmenden Ästhetik und den gleichzeitig inszenierten Möglichkeiten, diese konspirativ zu unterwandern.

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Was war zuerst, der Titel oder die Idee zu einer Arbeit? Die Suche nach dem passenden Begriff für etwas, das keine eindeutige Erklärung liefert, oder ein Wort als Initialzündung für ein schon lange währendes Interesse?
 

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Fest steht auf jeden Fall, dass die Arbeit Gizmo’s Kiss eine neue Etappe im künstlerischen Werk von Amadio markiert. Fussten ihre früheren Arbeiten viel stärker auf ausgewogenen künstlerischen Mitteln im Zusammenhang mit Grössenverhältnissen, Materialwahl und Farbentscheidungen, so erscheint Gizmo’s Kiss in seiner raumfüllenden und durchaus kurios-seltsamen Gestalt, in Verbindung einer ebenso seltsamen Farbigkeit genuin eigen und mit wenig vergleichbar.

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Als Anna Amadio nach New York ging, stand bereits fest, dass sie eine Einzelausstellung im Kunstverein Freiburg realisieren wird. Die architektonische Situation des Kunstvereins ist insofern spezifisch, als es sich um ein ehemaliges Hallenbad handelt und die Deckenhöhe neun Meter misst. Auf halber Höhe wird der Innenraum von einer Galerie begrenzt, von der aus man nach unten in die Halle blickt und somit alles auch von oben betrachten kann. Diese Situation hat Anna Amadio stark beeinflusst, bildhafte Strukturen mit skulpturalen zu verbinden, oder anders gesagt: die physische Begegnung mit der Skulptur als ebenso zentrale Thematik zu begreifen wie das Eintauchen in eine malerische Bildwelt, die eher reflexiv verzögernd als physisch unmittelbar funktioniert.

Beide Standpunkte – wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von jeweiligen Standpunkten sprechen kann – ergeben ein Gesamtbild einer Arbeit, die einerseits aufgrund ihrer Grössenverhältnisse Raum verdrängt, andererseits jedoch auch Raum freigibt, und dies durch ihre malerische Qualität und einen assoziativ freien Umgang mit gegenständlichen Referenzen. Diese basieren u.a. auf Anna Amadios Beobachtungen von New Yorker Häuserfassaden, auf denen sich über die Jahrzehnte hinweg ungezählte Farbschichten übereinander gelagert haben und den Lauf der Zeit auf diese Weise raffen und gleichzeitig aber auch dehnen. Ein Prozess, der auch zentral in ihren Werken erscheint. Nur ist es bei Amadio nicht das Thema der Zeit, sondern das Thema der Bestimmung und Bestimmtheit, das gerafft oder gedehnt wird: Assoziative Bezüge zeigen sich in ihren Arbeiten immer als Möglichkeit, gedanklich aus ihnen auszubrechen oder aber mehrere Standpunkte als Einheit zu begreifen.
 

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Gizmo’s Kiss ist ein Haus. Anders als in früheren skulpturalen Arbeiten, die Anna Amadio mit Luft füllte, entsteht Gizmo’s Kiss durch den entgegengesetzten Prozess, durch Vakuumisierung. Der Unterbau basiert auf einer Konstruktion, deren Struktur sich durch das Vakuum auf der farbigen Polyethylenfolie durchzeichnet. An den beiden Längswänden und der Rückwand blieben im Kunstverein Freiburg nur noch schmale Durchgänge, so dass sich der Eindruck einer Strassenschlucht ergab. Vom Eingang her betrachtet, präsentierte sich die Vorderseite leicht eingedrückt und (durch die Vakuumisierung) unter permanenter Spannung. Dadurch ergab sich eine Art Bühnensituation, eine modelhaftes Entrée in das Haus. Anna Amadio öffnet mittels einer pseudo-architektonischen Sprache metaphorisch orientierte Räume und schliesst sie aber auch mittels dieser Sprache wieder.
 

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Gizmo’s Kiss ist Malerei. Assoziationen an Frank Stella sind natürlich erlaubt, bringen aber letztendlich nichts. Interessanter ist es da schon, sich die Frottagen der letzten Jahre anzusehen und darüber hinaus die Storyboards, die Amadio erstellt, wenn sie eine neue Arbeit entwickelt. Farbige Flächen finden sich dort in räumlichen Strukturen, Fotos aus dem Alltag werden zu malerischen Architekturen der Fantasie: Anna Amadio ist vielleicht noch stärker Malerin als Bildhauerin. Obwohl hier noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Gerade die Arbeiten der vergangenen zwei Jahre zeigen eine enge Verbindung zwischen einem bildhauerischen und malerischen Diskurs. Was zumindest jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass Anna Amadios Werke Raum wollen. Sie lieben es, sich auszudehnen. Und sie können es.


Text Dorothea Strauss

Fotografien u.a. Marc Doradzillo